
Warum wir uns wie Bittsteller fühlen – Leben mit Behinderung und Pflegeverantwortung
Es gibt Tage, da fühlt es sich an, als müsste man um alles bitten. Um Hilfe. Um Verständnis. Um Teilhabe. Um Würde. Dabei fordern wir nichts Außergewöhnliches. Wir fordern nur das, was eigentlich selbstverständlich sein sollte: Menschlichkeit, Respekt und das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben.
Doch die Realität für viele Menschen mit Behinderung – und ebenso für ihre pflegenden Angehörigen – sieht oft anders aus. Wir leben in einem Land, das sich gern Inklusion auf die Fahne schreibt, doch im Alltag erleben wir genau das Gegenteil.
Wir kämpfen uns durch Anträge, Formulare und Ablehnungen. Wir sprechen vor Behörden, die uns – freundlich, aber distanziert – erklären, warum „das aktuell leider nicht möglich ist“. Wir erklären unsere Lebensrealität wieder und wieder, in der Hoffnung, ernst genommen zu werden. Und irgendwann kommt dieses Gefühl: Bin ich hier eigentlich Bittsteller oder Bürgerin?
Wenn Teilhabe zur Verhandlungssache wird
Das Wort Teilhabe ist gesetzlich verankert. Es ist ein Grundrecht. Doch in der Praxis scheint es oft ein Privileg zu sein, das man sich erst erkämpfen muss. Barrierefreier Zugang? Wird diskutiert. Inklusive Bildung? Ein politischer Streitpunkt. Assistenz im Alltag? Wird geprüft – und oft abgelehnt.
Pflegende Eltern, Angehörige, Freundinnen – wir sind nicht selten Managerinnen eines komplexen Systems. Wir sind Koordinatorinnen, Dolmetscherinnen, Kämpfer*innen. Und zu oft sind wir erschöpft, weil es nicht nur um die Versorgung geht, sondern auch um die ständige Rechtfertigung für die Unterstützung, die unsere Liebsten brauchen.
Statt Unterstützung: Kontrolle und Misstrauen
Was uns besonders verletzt, ist die Haltung, die uns dabei entgegenschlägt. Als würde man uns nicht ganz glauben. Als müssten wir beweisen, dass unser Alltag tatsächlich so herausfordernd ist, wie wir sagen. Als hätten wir etwas davon, wenn wir „mehr“ Pflegegrad oder mehr Leistungen bekommen.
Doch niemand möchte in einem System leben, in dem jede Unterstützung hart erkämpft werden muss. Es geht nicht um Almosen. Es geht um Gerechtigkeit.
Was wir brauchen: Anerkennung statt Abwehr
Wir brauchen eine Gesellschaft – und ein politisches System – das endlich erkennt: Wir sind keine Bittsteller. Wir sind Bürger*innen dieses Landes mit den gleichen Rechten. Wir brauchen keine Gnade, sondern Rechte, die gelebt und nicht nur auf dem Papier existieren.
Was wir uns wünschen, ist ein Klima der Anerkennung. Dass uns zugehört wird. Dass unsere Lebensrealität ernst genommen wird. Dass man uns nicht nur in Kampagnen zeigt, sondern in der Gestaltung von Alltag, Stadt, Schule und Arbeitsplatz wirklich mitdenkt.
Lasst uns das Schweigen brechen
Wenn du diesen Text liest und dich wiedererkennst – egal, ob du selbst betroffen bist oder ein Familienmitglied pflegst – dann bist du nicht allein. Es ist kein individuelles Versagen, wenn du müde bist. Es ist ein strukturelles Problem, wenn man Menschen in Not zum Bittsteller macht.
Deshalb lasst uns weiter laut sein. Lasst uns schreiben, sprechen, dokumentieren. Lasst uns zeigen, dass wir da sind – und dass wir mehr verdienen als stille Duldung.
Wir wollen keine Dankbarkeit dafür, dass wir kämpfen. Wir wollen, dass wir nicht mehr kämpfen müssen.
#InklusionJetzt #WürdeStattWohltat #NichtUnserMangelEuerSystem

